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Offener Brief

Heinz-Günther Stobbe richtet sich in einem offenen Brief an die Leser*innen der pax_zeit

pax christi hat in der genannten Zeitschrift eine neue Rubrik eingerichtet, in der Anregungen zu dem in Arbeit befindlichen Hirtenwort „Gerechter Friede II“ (Arbeitstitel) veröffentlicht werden sollen. In der letzten Nummer (4_2020) erschien dazu ein Beitrag von Prof. Dr. Stefan Silber, der noch einmal das Hirtenwort „Gerechter Friede“ aus dem Jahr 2000 in den Blick nimmt, um aus einer kritischen Bewertung Konsequenzen für die neue Stellungnahme der Bischofskonferenz abzuleiten.

Ich gehöre zwar der Arbeitsgruppe an, die mit dem Entwurf von GFII betraut ist, möchte aber nicht allein als deren Mitglied auf diesen Beitrag reagieren, sondern zugleich als Mitglied von pax christi das daran interessiert ist, dass die Äußerungen von pax christi Gehör finden und ernst genommen werden. Was den Beitrag von Stefan Silber betrifft, so hege ich in beiderlei Hinsicht beträchtliche Zweifel, die ich zur Kenntnis geben und zur Diskussion stellen will. Da pax_zeit keine Leserbriefe veröffentlicht und auch sonst kaum ein Forum für eine solche Debatte anbietet, wähle ich die Form eines Offenen Briefes, ohne zu wissen, ob pax christi ihn über das Internet publizieren will oder kann.

I.
Es ist recht misslich, eine Auseinandersetzung mit Textauslegungen führen zu müssen, die leicht kleinlich und besserwisserisch wirken können. Leider lässt sich das nicht vermeiden, wenn eben ein Text gewürdigt und bewertet werden soll. St. Silber setzt denn auch mit einem starken Vorwurf ein, GF stehe in Folge seiner „falschen Einleitung“ von Anfang an „auf tönernen Füßen“. Der Text unterschlage, indem er mit der Erzählungen vom Sündenfall sowie von Kain und Abel einsetzt, die „biblische Grundlage“  und die „Folie“ für diese Geschichten, nämlich die Schöpfungserzählung von Gen 1, die mit dem siebten Schöpfungstag und das heißt: „mit Ruhe und Frieden“ endet. Sieht man sich den Text etwas genauer an, dann erweist sich diese Kritik als verfehlt und als Ergebnis einer recht ungenauen, um nicht zu sagen: oberflächlichen Lektüre. Es trifft zu, dass Kapitel I mit dem Abschnitt über die biblische Urgeschichte und den menschlichen Hang zur Gewalttätigkeit einsetzt, doch ist dieses Kapitel überschrieben mit “Gewaltfreiheit in einer Welt von Gewalt“. Es geht also in erster Linie um Gewaltfreiheit, doch in einem bestimmten Kontext. Ihn biblisch zu charakterisieren, ist die Aufgabe der „falschen Einleitung“, die mit folgender Feststellung abgeschlossen wird: „Hier bricht die Bibel die Kainsgeschichte ab. Das Wort `Frieden´ lesen wir in diesem Text nicht. Doch ist der Friede sein geheimes Thema. Er ist anwesend im Bild des Gartens `Eden´, mit dem die Geschichte beginnt. In diesem Garten wird ihn der Prophet Jesaja entdecken, wenn er den Frieden der messianischen Zukunft als den paradiesischen Tierfrieden zeichnet“.“ (GF Nr. 16) Dem entspricht, dass der kurzen Wiedergabe der „Urgeschichte“ zwei programmatische Abschnitte zur Bedeutung der „biblischen Botschaft des Friedens“ vorgeschaltet sind. Darin heißt es unter anderem: “Den Frieden zu suchen, ist eine Forderung der ganzen Bibel“ (GF Nr. 11). Zwei weitere Abschnitte (1.2 und 1.3) dienen dazu, diese Aussage vom Alten und Neuen Testament her zu erläutern und zu begründen. Wie man von da her zu der Behauptung gelangen kann, in GF werde „die Menschheit … von der Gewalt her beurteilt und nicht von ihrer Berufung – und ihrer Fähigkeit – zum Frieden“, verstehe ich schlichtweg nicht.

II.
Nicht besser verhält es sich mit dem zweiten zentralen Vorwurf: Hier hält St. Silber den Bischöfen vor, mit ihren Ausführungen über „Bedeutung und Grenzen militärischen Gewalt“ hätten sie „versucht, nun diese Gewalt als eine andere, gleichberechtigte Form der Konfliktlösung zu präsentieren“, und wohl auch deshalb scheine der Text „aus einer Werbebroschüre für die Bundeswehr abgeschrieben zu sein.“ Diese Charakterisierungen finden erneut am Text selbst keinerlei Anhalt. Zunächst: Es ist einfach falsch, den besagten Abschnitt einem Kapitel zuzuordnen, das angeblich „eigentlich Alternativen zur militärischen Gewalt behandelt“, und dort stehe er „völlig erratisch und zusammenhanglos“ da. In Wahrheit behandelt das Kapitel laut Überschrift „Elemente innerstaatlicher und internationaler Friedenfähigkeit“, und lässt erst einmal offen, ob sich das nur auf „Alternativen zur militärischen Gewalt“ bezieht. Der zweite Abschnitt widmet sich genau dieser Frage und postuliert, den „Vorrang für gewaltpräventive Konfliktbearbeitung“. Das schließt in der Tat „militärische Mittel“ nicht kategorisch aus, wohl aber, entgegen der Behauptung von St. Silber, die Gleichrangigkeit von militärischen und alternativen Mitteln. Im Abschnitt über das Militär wird denn auch dieser Vorrang mit keinem Wort zurückgenommen oder abgemildert. Im Unterabschnitt über die „Problematik bewaffneter Interventionen“ wird gemäß der friedensethischen Tradition der katholischen Kirche unmissverständlich betont: „Die Anwendung von Gegengewalt kommt überhaupt nur als ultima ratio in Betracht“. (GF Nr. 151) Die Stellung des Abschnitts über militärische Mittel bringt diese Rangfolge zum Ausdruck, vor ihm stehen folgerichtig eine Reihe von Abschnitten über alternative Wege zur Konfliktvorbeugung und Konfliktbearbeitung. Es gibt also sehr wohl einen Zusammenhang zwischen diesen verschiedenen Teilen, und es ist sehr klar, welcher Stellenwert dem Militär zugebilligt wird: als „letztes Mittel“, nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Es steht allen KritikerInnen des Hirtenwortes frei, aus welchen Gründen auch immer den Sinn dieses Prinzips der „ultima ratio“ zu bestreiten, es ist jedoch widersinnig, eine „ultima ratio“ als „gleichberechtigte Form der Konfliktlösung“ zu bezeichnen, zumal, wenn ein grundsätzlicher Vorbehalt beachtet wird, der sich gleichfalls in GF findet: „Auch die aus Gründen der Notwehr und Nothilfe ausgeübte Gewalt bleibt ein Übel, und oft fällt es sehr schwer, im vorhinein abzuschätzen, welche Entscheidung am Ende das geringere Übel bedeutet.“ (GF Nr. 41) Für St. Silber gibt es allerdings in dieser Hinsicht keinen Raum für selbstkritische Zweifel oder Skepsis: „Militärische Praxis ist aber mit ziviler Konfliktlösung eben nicht vergleichbar, sie sind auch nicht komplementär oder bestimmten Konflikten jeweils angemessener.“ Unter dieser apodiktisch vorgetragenen Voraussetzung sind zugegebenermaßen weder Vergleich noch Abwägung nötig oder auch nur möglich, und ein erheblicher Teil von Friedensforschung und Friedensethik, der mit Vergleichen, Güterabwägung und Folgenabschätzung befasst ist, kann als schlicht überflüssig betrachtet werden. Die Bischöfe haben sich diese These in GF offenkundig nicht zu eigen gemacht, und ich persönlich denke nicht, dass GFII daran etwas ändern wird oder eine Änderung wünschenswert wäre. Doch bin ich weder ein Prophet, noch steht es in meiner Macht, das zu entscheiden. Ganz sicher aber bin ich mir, dass eine kritische Begleitung des Entstehungsprozesses von GFII in der Art, wie sie in St. Silbers Kommentar zu GF praktiziert wurde, nicht als besonders hilfreich empfunden werden wird.